Ein „Seufz“ für Anja Karliczek

Liebe Anja Karliczek,
Sie sind ja als Bildungsministerin der Großen Koalition bisher, na, ich sag’s mal vorsichtig, eher unauffällig geblieben. Das finde ich zwar schade, aber ganz ehrlich: wenn ich Ihr Interview mit Louis Klamroth bei ntv und vor allem Ihre Äußerungen zur Ehe für alle und zu Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften so höre, denke ich spontan: „Och, ‚unauffällig‘ war vielleicht gar nicht so schlecht.“

Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht bei Ihrer Behauptung, dass die Ehe für alle überstürzt eingeführt wurde, ohne vorher breit darüber zu diskutieren und dass das die Gesellschaft polarisiert hätte? Da fällt mir eigentlich nur eine Frage ein: Unter welchem Münsterländer Stein haben Sie eigentlich die letzten 20 Jahre verbracht? Fragen Sie doch vielleicht mal Volker Beck, der gibt Ihnen sicher gerne Auskunft darüber, wie lange über dieses Thema diskutiert und gestritten wurde. Wie viele Politiker und Ehrenamtliche dafür gekämpft haben, dass endlich politisch beschlossen wurde, was gesellschaftlich längst Konsens war. Das mit der „Polarisierung“ ist nämlich auch, tja, wie sage ich das jetzt schonend?… frei erfunden! Recherchieren Sie doch einfach mal kurz, wie groß die Zustimmung der Deutschen zur Ehe für alle bei ihrer Einführung war. Ich habe da so grob 75 Prozent im Kopf. Dabei sollten gerade Sie doch eigentlich wissen, was „überstürzt“ und „polarisierend“ bedeuten. Ich meine… Sie erinnern sich doch bestimmt noch an Ihre Ernennung zur Bildungsministerin?

Außerdem wünschen Sie sich laut Interview Studien, die untersuchen, wie es Kindern in Regenbogenfamilien so geht. Tja. Eine sehr aufwändige 3-Sekunden-Recherche, die ich gerade gemacht habe, hat ergeben, dass es diese Studien längst gibt. Ergebnis: Super! Es geht ihnen super und auf jeden Fall nicht schlechter als Kindern in den sogenannten traditionellen Ehen.
Nächste Frage? Lassen Sie mich raten: Sie wollen natürlich wissen, ob diese Kinder nicht öfter diskriminiert werden als andere? Das kommt ja auch immer mal wieder und da fallen mir eigentlich nur zwei Antworten ein: Zum einen würde es diesen Kindern vielleicht ja schon helfen, wenn ihnen Politiker wie Sie nicht immer und immer wieder das Gefühl geben würden „anders“ zu sein. Zum anderen: Bei uns in der Schule wurden Kinder mit Segelohren gehänselt. Soll man deswegen Menschen mit abstehenden Ohren verbieten, Kinder zu bekommen? Na also. Gute Eltern erkennt man nicht daran, dass sie heterosexuell sind oder flach anliegende Ohren haben. Gute Eltern erkennt man daran, dass sie ihre Kinder stark machen und ihnen beibringen, wie man mit Hänseleien umgeht. Und, wenn man jetzt mal den Studien glauben will, die es auch zu diesem Thema längst gibt (wie gesagt: 3-Sekunden-Recherche. Echt die Mühe wert!), dann schaffen Kinder aus Regenbogenfamilien das sogar noch ein bisschen besser, als andere.

Wenn man sich also mit all Ihren Aussagen beschäftigt, fällt einem eigentlich nur eine sinnvolle Reaktion ein: „Seufz!“

Ich verstehe ja, dass die CDU gerade händeringend nach konservativen Themen sucht, um sich wieder ein bisschen weiter rechts zu positionieren, um der AfD das Wasser abzugraben und die Wählerbasis zu befrieden. Jens Spahn melkt die Asylkuh, wo er nur kann, Friedrich Merz hat seinen Melkschemel gerade dazu gestellt, Annegret Kramp-Karrenbauer ist sich nie zu schade für schwiemeliges Bedrohungs-Gemurmel zum Thema Ehe für alle und jetzt eben Sie. Ich fürchte nur: Das wird nicht funktionieren. Es ist ja nun mal nicht unsere Schuld, dass sich eine Gesellschaft weiterentwickelt und viele konservative Überzeugungen früher oder später von der Realität überholt werden. Ich würde Ihnen sogar wünschen, dass Sie alle wieder ein paar Themen finden, an die sich klammern können. Aber muss es denn immer wieder darauf hinauslaufen, Unwahrheiten oder unbelegbare bzw. längst widerlegte Vermutungen über Minderheiten und deren Leben zu verbreiten? Können Sie nicht einfach alle wieder, was weiß ich, für die Atomkraft sein? Das wäre zwar auch Unsinn und wird Ihnen bei den nächsten Wahlen ordentlich um die Ohren fliegen, weil die Gesellschaft sich auch hier weiterentwickelt hat, aber wenigstens werden da mal keine Minderheiten diskriminiert. Und wenn Sie wollen, können Sie sogar noch Langzeitstudien über die Giftigkeit von Atommüll oder die Gesundheitsschädlichkeit explodierender Kernkraftwerke anlegen. Gibt es zwar vermutlich auch alles schon längst, aber die Tage im Bildungsministerium scheinen ja manchmal ein bisschen lang zu werden.

Viele Grüße,
Markus Barth