„Auf einer Skala von Null bis ‚Mit dem Fahrrad durch Lissabon fahren‘ – wie sehr neigen Sie eigentlich zu beschissenen Ideen?“
Ich hätte es wissen müssen. Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal in dieser Stadt war, nahm ich mir anschließend vor: „Nächstes Mal gehe ich vorher vier Wochen auf den Stepper!“ Denn was viele nicht wissen: Lissabon ist die einzige Stadt der Welt, in der alle Straßen ausschließlich nach oben führen. Egal, wo man hin will, es geht auf jeden Fall bergauf. Und zwar nicht so Kölsch bergauf, wo die Leute schon Gipfelkreuze in die Erde schlagen, wenn sie den 20-Meter-Hügel am Aachener Weiher hochgekeucht sind. Nee, mehr so österreichisch bergauf. Alpin, quasi. So bergauf, dass man abends in einer Bar sitzt, auf die Straße schaut und denkt: „Guck ich schon schief, oder fahren die Autos da im 45 Grad Winkel vorbei?“
Bei dieser Berg- und Talbahn merkt man übrigens auch sehr schnell, welche Schuhe wirklich passen und welche relativ unüberlegt ohne Anprobe hektisch gekauft wurden, weil man zum Beispiel in Bratislava ausgeraubt wurde. Deshalb, Sammler aufgepasst: In irgendeinem Lissabonner Mülleimer liegt gerade ein Paar fast neuer, weinroter Chucks von mir. (Keine Angst, ich habe mir ein anderes dafür besorgt. Es war zwar heiß, aber zum „Hurra, ich lauf jetzt nur noch barfuß!“ hat die Sonneneinstrahlung auf meine Glatze dann doch noch nicht gereicht.)
Jedenfalls: Ein Fahrrad ist in Lissabon ungefähr so hilfreich wie ein Taucheranzug in Garmisch. Wir mussten uns also schnell überlegen, wie wir uns „desenmerdaren“ (Mein portugiesisches Lieblingswort! Wörtlich: „to unshit yourself“ – also selbst aus der Kacke ziehen. Darin sind die Portugiesen nach eigener Auskunft nämlich Weltmeister). Eine Möglichkeit wäre die berühmte, knallgelbe Straßenbahnlinie 28 gewesen, die durch die gesamte Altstadt tuckert. In der sitzt man aber leider wie ein De Beukelaer-Mikadostäbchen in der Packung. Und bei der Hitze schmilzt man auch genauso schnell. Noch dazu tummeln sich in diesen Zügen hochprofessionelle Taschendiebbanden mit beeindruckenden Touristen-Verkleidungen und sehr schnellen Fingern. Es ist quasi ein rollendes Theater mit sehr billigem Ein-, aber sehr teurem Austritt.
Wir entschieden uns deshalb für die bequemere und deutlich lustigere Variante und buchten eine Tuk-Tuk-Tour mit Tuk-a-Look Lisbon, die ich hiermit jedem wärmstens empfehle: Luis, unser Guide, chauffierte uns zwei Stunden mit seinem Elektro-Tuk-Tuk (also eigentlich kein Tuk-Tuk, sondern eher ein Psst-Psst) vorbei an Kirchen und Museen, der ältesten Buchhandlung der Welt, dem mitten in der Stadt stehenden Aufzug Santa Justa („Glückwunsch, sie haben dieses Lissabon-Level geschafft – auf zum nächsten!“), zu den Gassen der Alfama, wo alte Damen ihren selbstgemachten Ginjinha-Kirschlikör in kleinen Schokotassen anbieten. Zwischendrin gibt’s Pasteis de Nata von Manteigaria (für alle, die nicht eine halbe Stunde für die berühmten Pasteis de Belém anstehen wollen, eine sehr geschmeidige Alternative!) und immer wieder zeigte Luis auf die ein oder andere Hauswand, denn ganz nebenbei besitzt Lissabon auch noch einige der beeindruckendsten Street Art-Werke, die ich je gesehen habe.
Mir fiel jedenfalls schnell wieder ein, warum ich Lissabon schon vor zwanzig Jahren so großartig fand (und immer noch nicht verstehe, wie Wim Wenders mit „Lisbon Story“ aus so einer brodelnden Stadt einen so drögen Film machen konnte). Deshalb: fliegt mal hier her, brettert mit Luis durch die Gassen und grüßt ihn schön von mir. Und wenn Ihr das macht, gönnt euch den Spaß und zählt die Fahrradfahrer, die Ihr währenddessen so seht. Mein Tipp: Wenn Ihr mehr als einen entdeckt – dann waren wahrscheinlich mein Mann und ich mal wieder in der Stadt.
P.S.: Nächster Halt: Süden. Also, noch mehr Süden. Sagres, Algarve… wir werden sehen.