Lieber Martin Schulz

eines gleich vorweg: ich gehöre nicht zu denen, die in hämisches Giggeln verfallen, wenn die SPD mal wieder ein paar Prozentpunkte verliert. Ich bin kein SPD-Mitglied, noch nicht mal Fan, aber ich bin der Ansicht, dass das mit den Volksparteien schon seinen Sinn hat. Außerdem hatte ich großen Respekt davor, wie Sie in Ihrer Zeit im EU-Parlament die Werte der EU hochgehalten haben.
Umso fassungsloser bin ich angesichts des würdelosen Rumgeeiers, das Sie gerade beim Thema „Ehe für alle“ veranstalten.

Sie hätten mit den Stimmen der Linken und der Grünen gerade die einmalige Chance, die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben auch gegen den Willen der CDU/CSU durchzusetzen. Und Sie wissen vermutlich genauso gut wie ich (und wie die allermeisten Unions-Abgeordneten), dass es auch nicht einen guten Grund gegen diesen Schritt gibt. Sie tun es trotzdem nicht. Weil man „keine Politik gegen einen Koalitionspartner“ macht. Da habe ich eine Bitte: Lesen Sie doch mal den Koalitionsvertrag. Dort steht: „Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen“. Da! Für mich heißt das, Sie können nicht nur Politik gegen die Union machen – Sie müssten es laut Vertrag sogar! Mal ganz davon abgesehen, dass man immer, immer Politik gegen seinen Koalitionspartner machen darf, wenn der darauf besteht, Menschen ungleich und ungerecht zu behandeln. Gerechtigkeit – war das nicht auch mal so ein SPD-Ding?

Davon abgesehen: Was haben Sie denn eigentlich zu verlieren? Im Gegensatz zu vielen anderen Wahlversprechen der SPD wäre die „Ehe für alle“ noch nicht mal teuer. Sie kostet nichts – außer ein bisschen Mumm.
Außerdem: 83 Prozent der Deutschen sind für die „Ehe für alle“. Mit noch mehr Zustimmung könnten Sie höchstens rechnen, wenn Sie, was weiß ich, die „Rente mit 17“ einführen!
Ihnen ginge noch nicht mal ein Wahlkampfthema verloren, denn wenn Sie sich jetzt gegen die „Ehe für alle“ stellen, sie dann aber im Wahlkampf fordern – mal ehrlich: da würden Sie sich doch hoffentlich selbst ein bisschen schämen, oder?

Wenn Sie sich jetzt nicht trauen, auch mal gegen Ihren aktuellen Koalitionspartner Stellung zu beziehen, machen Sie sich selbst unglaubwürdig und die SPD endgültig zu einem rundgelutschten Merkel-Bonbon. Wer soll Sie dann noch wählen? Und warum?

Nächstes Jahr feiern mein Mann und ich unseren zehnten „eingetragene Lebenspartnerschafts-Tag“. Es liegt an Ihnen, ob es unser erster echter Hochzeitstag wird. Die Hoffnung stirbt zuletzt – das wissen Sie als SPD-Vorsitzender ja am besten.

Mit besten Grüßen,
Markus Barth