Vorsichtiger Versuch, über Autos zu sprechen

Was mich an der aktuellen Auto/Diesel/Fahrverbots-Diskussion am meisten deprimiert: Die geradezu atemberaubende Fantasielosigkeit, mit der sie geführt wird.

Für alle, die sich jetzt schon den Schlagring mit den dick geprägten ADAC-Buchstaben überstreifen: Langsam! Ich habe selbst ein Auto. Zwei sogar. Ein Wohnmobil und einen PKW. Und ich fahre sie auch. Und es kommt noch härter: Beides Diesel. Ich bin also garantiert der Letzte, der mit dem ökologisch-vorwurfsvollen, feinstaubfreien Zeigefinger auf andere Leute zeigen würde. Außerdem bin ich oft genug in Deutschland unterwegs um zu wissen, dass viele Leute ein Auto brauchen, wenn sie nicht nur noch in ihrem Reihenhaus in Oberunterbach hocken oder die Kinder auf dem Arm zur nächsten KiTa tragen wollen. Trotzdem kann ich mich nur wundern über das Ausmaß an Hysterie, mit dem jede Diskussion über Autos – egal ob Diesel oder sonstwas – in Deutschland endet:
„Es könnte sein, dass der eigene PKW mit Verbrennungsmotor nicht der Mobilitäts-Weisheit letzter Schluss ist!“
„WARUM HASST IHR UNS AUTOFAHRER SO???“
So geht das jedesmal.

Vielleicht muss man mal einen kleinsten gemeinsamen Nenner suchen: Jeder, der ein Auto – egal ob Diesel oder Benziner – fährt, weiß: Für Verbrennungsmotoren braucht man Erdöl und Erdöl ist eine endliche Ressource. Außerdem entstehen bei der Verbrennung Treibhausgase und die heißen nicht ohne Grund so. Dieselmotoren erzeugen noch dazu offensichtlich bedenkliche Mengen Feinstaub, und den will keiner von uns in der Lunge haben (Die 100 BILD-„Lungenärzte“, von denen viele ihr Geld offensichtlich weniger mit Lungen und mehr mit Lobbys verdienen, einfach mal ausgenommen). Und dass in Deutschland eventuell ein paar Autos zu viel auf der Straße sind, weiß jeder, der schon mal Freitagnachmittag auf der A1 stand und zuschauen konnte, wie allmählich die Jahreszeiten wechseln.

Soweit alle noch dabei und der Puls in nicht lebensbedrohlichen Regionen? Na wunderbar. Dann weiter: Wenn man sich darauf einigen kann, ist selbst für mich als Autofahrer und insgesamt Gerne-nicht-daheim-Hocker der logische nächste Gedanke: Es ist an der Zeit, über Alternativen zum klassischen Ein-Mensch-ein-Auto-Verkehr nachzudenken.

Aber genau an dem Punkt wird‘s schwierig. Man könnte jetzt sagen: „Okay, ist ne Herausforderung, aber lasst mal Ideen hören!“. Nicht so bei uns. Sobald das Auto ins Spiel kommt, fliegt vielen Deutschen vor Wut das innere Schiebedach davon: „Aaaah, die wollen mir mein Auto wegnehmen!“ (Wollen die nicht! – Und wer ist überhaupt „die“?). „E-Autos sind auch keine Lösung!“ (Das stimmt wahrscheinlich, dann lasst uns doch mal gemeinsam über weitere Möglichkeiten nachdenken!) „Erst der Diesel, dann das Tempolimit und dann gibt‘s an der Tanke nur noch Tofu-Bifi!“ (Seufz!) – so tönt es aus allen Ecken und man merkt: Nachdenken über eine andere Mobilität ist in Deutschland quasi schon ne Vorstufe zum Hochverrat.

Noch dazu wurde der Inbegriff dieser denkfeindlichen Grundstimmung vor rund einem Jahr auch noch Verkehrsminister. Mit der Ambitionslosigkeit eines Usambaraveilchens sitzt Andreas Scheuer in seinem Ministerium, plappert mehr oder weniger fehlerfrei nach, was ihm BILD-Zeitung und Autolobby einflüstern („Grenzwerte hinterfragen!“, „Tempolimit ist gegen den Menschenverstand!“, „Guck mal, mein BMW-Tattoo!“ – nur eine dieser Aussagen stammt nicht vom Auto-Andi, und es ist überraschend schwierig zu sagen, welche!) und hat sonst, kurz gesagt, keine Idee. Nie. Nur eines ist ihm wichtig: Sich als Retter der gebeutelten Autofahrer hinzustellen. Dass ihm das auch noch gelingt, ist besonders traurig. Ich lass mich gerne korrigieren, aber kann es sein, dass die Tatsache, dass viele Dieselfahrer verunsichert sind und nicht wissen, ob sie nächstes Jahr noch mit ihrem ihrem Auto in die Stadt fahren dürfen, weniger an den „Autohassern“, der Umwelthilfe oder „DEN GRÜNEN!!!“ liegt, sondern viel mehr an einem seit Jahren CSU-geführten Verkehrsministeriums, das sämtliche Warnungen ignoriert und es sich stattdessen lieber im Auspuff der Autoindustrie gemütlich gemacht hat? Dachte ich mir. Und wenn wir schon dabei sind: Dass es ausgerechnet den sogenannten „Konservativen“, die bei jeder Gelegenheit Familie und Kindeswohl hochhalten, offensichtlich pupsegal ist, wie die Welt aussieht, in der all diese Kinder mal aufwachsen werden, hat eine fast schon morbide Ironie. (Gerade hat der Bahnbeauftragte der Bundesregierung (CDU) eine Erhöhung der Bahnpreise gefordert. Dass man ohne nachzudenken trotzdem solche Scheißideen haben kann!)

Man sollte sich von solchen Denk-Verweigerern aber nicht beeindrucken lassen. Denn das ist genau die Fantasielosigkeit, die ich oben erwähnt habe. Wie spannend es sein könnte, wenn man das Thema „Nachhaltige Mobilität“ auch nur eine Sekunde lang als Herausforderung, und nicht als Bedrohung verstehen würde! Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass niemand niemandem Mobilität verbieten, sondern man gemeinsam Möglichkeiten suchen will, dass alle auch in Zukunft dorthin kommen, wo sie hinmüssen – Nur halt ohne dabei Klima und Gesundheit zu zerstören. Und wenn man es auch nur eine Sekunde für möglich halten würde, dass das Autoland Deutschland genau bei diesem Thema eine Vorreiterrolle übernehmen könnte! Was man da alles machen könnte:

– Im ländlichen Raum einen öffentlichen Nahverkehr aufbauen, der seinen Namen auch verdient, und bei dem der letzte (und einzige) Bus nicht nachmittags um 16 Uhr fährt.
– Der Bahn mal sagen: „Nee, liebe DB, Ihr macht nicht auch noch den letzten Bahnhof aufm Land zu. Im Gegenteil, Ihr baut neue, damit auch die Menschen in Oberunterbach mal ihr Auto stehen lassen können!“ (Nicht vergessen: Der Bund ist Eigentümer der Bahn – ein bisschen mehr „Solange du deine ICEs unter meinen Tisch streckst“-Attitüde könnte der Bundesregierung also vielleicht nicht schaden)
– Das Fahrrad endlich mal als Verkehrsmittel ernstnehmen und deutsche Städte so umgestalten, dass Menschen freiwillig mit dem Rad fahren. Nicht weil sie’s müssen, sondern weil es vielleicht sogar die einfachste und schnellste Fortbewegungsart ist. Denn nicht vergessen: Immer wenn in Deutschland jemand sagt: „Fahrrad ist voll unpraktisch und gefährlich und außerdem haben wir gar nicht das Wetter dazu!“, fällt in den Niederlanden ein freundlicher Holländer vor Lachen von seinem Lastenrad.
– Ja verdammt, von mir aus soll sogar Dorothee Bär ihre Flugtaxen bekommen. Wäre halt nur schön, wenn die nicht auch noch Diesel tanken.
– Und noch mal „ja verdammt“: Auch einfach mal das Auto stehen lassen und wenigstens mal kurz überlegen, wie man Strecken sonst noch bewältigen könnte. (Vom Flugzeug ganz zu schweigen). Nicht weil man‘s muss und weil’s verboten ist und weil DIE GRÜNEN!!!! das so wollen – sondern weil‘s in unser aller Interesse ist.

Das waren jetzt nur die ersten fünf Ideen, die mir im ICE sitzend am iPad einfallen. Und es waren trotzdem schon fünf Ideen mehr, als Andreas Scheuer im letzten Jahr hatte. Und ja, ich weiß, all diese Maßnahmen kosten Geld. Aber: Klimawandel-Schäden beseitigen kostet auch Geld. Fragt mal die Bauern.

Ach so, ganz wichtig, letzter Zwischenruf: „Aber, Markus! Die Autoindustrie! Der Grundpfeiler unseres wirtschaftlichen Wohlstands! Willst du die etwa vernichten?“
Gegenfrage: Wie sehr muss man deutsche Autobauer und Ingenieure eigentlich verachten, wenn man ihnen nichts anderes zutraut, als SUVs mit Verbrennungsmotoren zu bauen? Lasst die Leute doch mal forschen! Und gebt Ihnen vor allem einen Anreiz dazu! Als Ingenieur hätte ich auch eher so mittlere Lust, ein Verkehrsmittel der Zukunft zu entwickeln, wenn ich ständig meinen Konzernchefs und dem Verkehrsminister dabei zusehen müsste, wie sie aufgrund kurzfristiger Gewinne dieselschluckenden Monster-Geländewagen auf die Kühlerhaube sabbern. Es geht nicht um „Keine Autoindustrie“, es geht um „Eine andere Autoindustrie, die irgendwann vielleicht eher eine Mobilitätsindustrie wird!“

So. Jetzt macht damit, was Ihr wollt. Aber egal was Ihr macht: Seid kein Usambaraveilchen!